14. März 2025

„Zahlreiche Rechtsnormen des Glücksspielstaatsvertrags bleiben eine Steuerungsleistung schuldig“

Im Interview: Robin Anstötz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Glücksspiel und Gesellschaft (GLÜG) an der Ruhr-Universität Bochum und Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Glücksspielrecht. Als Referent hält er regelmäßig Vorträge, zuletzt beispielsweise zum beim Symposium Glücksspiel an der Universität Hohenheim. In seiner Dissertation untersucht Anstötz die symbolische und die funktionelle Dimension des Glücksspielstaatsvertrages und geht dabei auch der Frage seiner Anwendbarkeit nach. Über Stärken und Schwächen des GlüStV aus juristischer Sicht spricht er auch im Interview mit dem WestLotto-Newsroom.

Herr Anstötz, zentrales Element zur Regulierung des Glücksspiels in Deutschland ist der Glücksspielstaatsvertrag. Ist ein solches Konstrukt das geeignete Instrument, um der hoch komplexen Materie des Glücksspielrechts gerecht zu werden?

In der Tat ist die Regulierung des Glücksspiels aufgrund seiner vielzähligen Erscheinungsformen, suchtwissenschaftlichen Bedeutung und Digitalität sowie der vielfältigen sittlich-kulturell geprägten Vorstellungen komplex.

Staatsverträge sind nicht per se ein ungeeignetes Instrument, um dieser Komplexität zu begegnen. Wie jede Rechtsnorm muss aber auch der Inhalt eines Staatsvertrags, der in Landesrecht transformiert wird, gewisse Mindestanforderungen ‚guter Rechtsetzung‘ erfüllen, um seine Ziele erreichen zu können. Die lobenswertesten und legitimsten Ziele einer Regulierung bleiben bloße Lippenbekenntnisse, wenn der Normkörper an erheblichen Mängeln krankt. In der Gesetzgebungslehre besteht daher Einigkeit, dass Rechtsnormen nicht nur schön klingen, sondern auch gut gemacht sein müssen. Die dahingehenden Anforderungen an ‚gute Rechtsetzung‘ lassen sich nach rechtskulturellen, rechtstechnischen und anwendungstechnischen Bedingungen kategorisieren. Während erstere auf der Ebene der Normadressaten ansetzen, nehmen der zweite und der dritte Bedingungstypus die äußere Abfassung des Rechts unter der Prämisse seiner Anwendungsgeeignetheit und -tauglichkeit in den Blick.

Was den Glücksspielstaatsvertrag angeht, ist zu konstatieren, dass dieser an zentralen Stellen die soeben genannten Anforderungen nicht einhält. Diese handwerklich ungenügende Rechtsetzung führt zu einem strukturellen Geltungsproblem. Der Ursprung dieses Problems wird darauf zurückzuführen sein, dass die Länder bei Ausarbeitung und Erlass des Glücksspielstaatsvertrags 2021 zutiefst sittlich-kulturellen Implikationen unterlagen und sich über die zieladäquaten rechtlichen Maßgaben uneinig waren. Das dem Staatsvertrag inhärente Kompromisserfordernis wird der Normqualität zum Verhängnis und führt zu Formelkompromissen.

Wo liegen seine größten Stärken?

Die größte Stärke von Staatsverträgen und grundsätzlich auch des Glücksspielstaatsvertrags liegt darin, eine länderübergreifende einheitliche gesetzliche Regelung zu treffen. Hierdurch können vor allem die im Bereich des Online-Glücksspiels irritierenden föderalen Unterschiede nivelliert werden. Ein Vorteil liegt auch darin, dass der Vollzug der gemeinsamen Regelungen durch eine zentralisierte Aufsicht gestärkt werden kann.

Schwächen des GlüStV haben Sie bereits angedeutet. Wo liegen diese konkret?

Der Glücksspielstaatsvertrag leidet, wie soeben ausgeführt, an strukturellen Geltungsproblemen, die auf eine mangelhafte Rechtsetzung zurückzuführen sind. Besonders deutlich zeigt sich dies aus der anwendungstechnischen Perspektive:

Zu oft werden grundlegende Entscheidungen maßstabslos durch offene und verdeckte Delegationsnormen auf die Rechtsanwendung verlagert. So wird den Glücksspielaufsichtsbehörden an zahlreichen Stellen die Verantwortung überlassen, die zum Teil konfligierenden Ziele des § 1 GlüStV 2021 aufzulösen und sodann zu realisieren. Exemplarisch hierfür ist § 5 Abs. 1 S. 3 GlüStV 2021, der es der Glücksspielaufsicht überantwortet, Inhalts- und Nebenbestimmungen zur Ausgestaltung der Werbung festzulegen. Hierfür wird den Behörden allerdings kein klarer Maßstab an die Hand gegeben. Vielmehr ist die Behörde gezwungen, aus der überaus diffusen Vorgabe des § 5 Abs. 2 S. 1 und 2 GlüStV 2021, wonach Art und Umfang der Werbung für öffentliches Glücksspiel den Zielen des § 1 nicht zuwiderlaufen und nicht übermäßig sein darf, eigene Maßstäbe zu ziehen.

Ferner verteilt der Glücksspielstaatsvertrag die mit der Prüfung von Angeboten und der Überwachung des Marktes einhergehenden Lasten für Behörden nicht immer effektiv. Dadurch werden die ohnehin begrenzten und knappen Ressourcen der Glücksspielaufsichtsbehörden über Gebühr verbraucht. Besonders deutlich wird dies am Erfordernis einer gesonderten Erlaubnis nach § 22a Abs. 1 S. 2 GlüStV 2021 für jedes virtuelle Automatenspiel, das von einem erlaubten Veranstalter angeboten wird. Die GGL hat allein deshalb über mehrere tausend Anträge zu entscheiden.

Über die darüber hinaus bestehenden ganz konkreten Probleme des Glücksspielstaatsvertrags, etwa die Untauglichkeit der Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von Netzsperren, ist dabei noch gar nicht die Rede gewesen.

Wie ist vor diesem Hintergrund die Rolle der Glücksspielaufsichtsbehörden zu bewerten, insbesondere der GGL?

Eigentlich sollte es der GGL als Behörde lediglich obliegen, den abstrakten Normbefehl zu konkretisieren. Aufgrund der strukturellen Geltungsprobleme anwendungstechnischer Art ist sie jedoch regelmäßig dazu gezwungen, offengebliebene grundlegende Entscheidungen zu treffen. Denn zahlreiche Rechtsnormen des Glücksspielstaatsvertrags bleiben eine Steuerungsleistung schuldig, weil sie als bloße Formel- und Scheinkompromisse einzig einen diffusen Sollensgehalt normieren. Will die zuständige Behörde diesen diffusen Sollensgehalt vollziehen, ist sie zunächst zur Substituierung des in Wahrheit fehlenden normativen Gehalts gezwungen.

Für die künftige Novellierung des Glücksspielstaatsvertrags sollten die Länder ein besonderes Augenmerk auf diesen Aspekt legen. Ferner sei am Rande anzumerken, dass dabei auch die für den Vollzug entscheidende Frage nach der personellen und finanziellen Ausstattung der Glücksspielaufsichtsbehörden im Allgemeinen und der GGL im Besonderen erneuert werden sollte. Ein Vergleich mit den Glücksspielaufsichtsbehörden europäischer Nachbarländer offenbart auch hier Nachbesserungspotenzial.

Foto Anstötz: privat